Endlich habe ich mal wieder einen wahren Schatz gefunden! Nämlich die Kairo-Trilogie. Sie ist eines dieser versteckten nur wenigen bekannten Werke, auf die man zufällig stößt oder, wie ich, von jemand anderem darauf gebracht wird. Und diese Werke entpuppen sich dann als eine der tollsten Geschichten, die man je gelesen hat und man fragt sich, wo hat sie sich so lange vor mir versteckt?
Nagib Machfus |
Der Autor Nagib Machfus (1911-2006) und seine Werke sind eigentlich nicht unbekannt. Denn Machfus erhielt 1988 als erster Schriftsteller der arabischen Sprache den Literaturnobelpreis. Ich habe gelesen, dass er auch als „Vater des ägyptischen Romans“ bezeichnet wird. Da er in seinen
Werken auf viele zeitkritische und politische Aspekte eingeht, war die Veröffentlichung seiner Werke für ihn nicht ganz
ungefährlich.
Nun zu der Kairo-Trilogie. Im Zentrum der Geschichte steht die Familie Abd al-Gawwad über drei Generationen und somit drei Jahrzehnte hinweg. Zeitlich ist die Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesiedelt. Während dem ersten Band, der 1919 endet, steht Ägypten unter britischem Protektorat. Die Geschichte spielt sich komplett in Kairo ab, keines der Familienmitglieder verlässt die Stadt jemals. Das Familienoberhaupt ist Achmed Abd al-Gawwad, ein reicher und angesehener Kaufmann. In „Zwischen den Palästen“ ist er im mittleren Alter und hat bereits fünf Kinder. Drei Söhne – Jasin, aus erster Ehe, Fahmi und Kamal mit seiner zweiten Frau Amina – und die zwei Töchter Aischa und Chadiga. Kamal ist hier noch das Nesthäkchen und Lausbub der Familie, während die älteren Brüder bereits arbeiten und studieren gehen. Die Töchter Aischa und Chadiga sind im heiratsfähigen Alter, was den Eltern Sorgen macht.
Den Anfang fand ich sehr gefühlvoll. Die Ehefrau Amina wacht nachts am Fenster und beobachtet die Straßen, weil sie auf die Rückkehr ihres Herrn wartet. Sie ist etwas ängstlich und schüchtern und hofft auf sein baldiges Nachhause kommen. Schließlich kommt ein volltrunkener Achmed Abd al-Gawwad nach Hause und sie bedient ihn zuvorkommen und höflich bis er ins Bett geht. Man merkt sofort, dass man es mit uns unbekannten Traditionen und Familienmustern zu tun hat. Das war für mich sehr spannend zu lesen.
Schnell wird der Leser mit der Familie Abd al-Gawwad vertraut. Dem Patriarchen sind Ehre und Ansehen seiner Familie überaus wichtig. Deswegen stellt er zu Hause strenge Regeln auf und benimmt sich als strenger und teils cholerischen Vater und Ehemann. Die Kinder fürchten sich vor ihm und sprechen nur mit ihm, wenn er sie dazu auffordert. Die Ehefrau ist ihm eine ergebene Dienerin, niemals aufmüpfig und wagt es nicht, ohne ihn das Haus zu verlassen. Als sie es doch einmal tut, um zur Moschee zu gehen, wird sie eine Zeit lang verstoßen.
Regelmäßig wechselt die Erzählperspektive, so dass sich die Familienmitglieder in der Schilderung der Ereignisse abwechseln. Das macht den Roman besonders spannend, denn es ergibt sich eine große Vielfalt an Einsichten und Gefühlen. Außerdem bekommt man so zu jeder Figur denselben Bezug. Daraus hat sich für mich auch ergeben, dass ich keine Lieblingsfigur hatte, sondern gebannt die Entwicklung eines jeden Charakters verfolgt habe.
Achmed Abd al-Gawwad
Am zwiespältigsten und damit auch faszinierendsten ist die Lebensweise des Patriarchen. Sein strenges und wütendes Auftreten zu Hause steht in vollem Kontrast mit seinem allabendlichen Ausgehen. Er ist der Mittelpunkt in seinem Freundeskreis, wird von allen bewundert und überzeugt mit einem charmanten und witzigen Auftreten. Die Tugendhaftigkeit, die er seiner Familie auferlegt hat, gilt nicht für ihn. Jeden Abend frönt er fröhlich mit viel Musik dem Alkohol und Frauen. Seine Söhne, die ihm nach und nach auf die Schliche kommen, sind geschockt von seinen zwei unterschiedlichen Lebensweisen.
Jasin und Fahmi
Vor allem sein ältester Sohn Jasin kommt ganz nach seinem Naturell und kann seine Lust nach Alkohol und Frauen kaum zügeln. Auch die Heirat mit der Tochter eines Freundes seines Vaters kann ihn nicht ändern und endet mit der Scheidung und einem Sohn, der erste Enkel Radwan. Der Stolz der Familie ist daher der intelligente Sohn Fahmi, der Jura studiert und später eine gute Stellung einnehmen und das Ansehen der Familie schmücken soll. Fahmi ist sein sehr aktiver Student und verfolgt und diskutiert mit einer Gruppe von Kommilitonen die politischen Ereignisse. Von der Besetzung durch die Engländer hält er nicht viel und fiebert der Befreiung Ägyptens entgegen. Er ist in das Nachbarsmädchen Marjam, eine Freundin seiner Schwestern, verliebt und bittet den Vater sie heiraten zu dürfen. Der hält sie jedoch auf Grund ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht für gut genug und verweigert seinem Sohn diesen Wunsch. Vor lauter Liebeskummer stürzt sich Fahmi nun vermehrt in politische Aktionen und nimmt an Demonstrationen teil. Am Ende kommt er bei einem revolutionären Aufstand um. Damit endet der erste Band. Die Familie, besonders die Mutter Amina, ist am Boden zerstört und ein erster hoffnungsvoller Stern am Himmel der Abd al-Gawwads ist untergegangen.
Aischa und Chadiga
Das Schwesternpaar könnte nicht gegensätzlicher sein. Aischa ist die Hübsche und faule, die den ganzen Tag nur singt und sich im Spiegel betrachtet. Chadiga ist die Hässliche, dafür fleißige und sehr fürsorgliche große Schwester. Deshalb streiten sich die Schwestern auch permanent, obwohl sie sich eigentlich mögen. Von Anfang an ist klar, dass es leicht wird für Aischa einen Ehemann zu finden. Jedoch fürchten alle Chadiga zu demütigen, wenn die kleine Schwester vor ihr heiratet. Lange sorgt sich die Familie um Chadigas Glück. Während Aischa eine gute Partie macht und einen reichen Mann, Chalil Schaukat, aus einer alt-ehrwürdigen, hoch angesehenen Familie heiratet. Am Ende geht jedoch alles gut aus und Chadiga heiratet den älteren Bruder von Chalil Schaukat. So wohnen die beiden Schwestern im selben Haus und können weiter streiten.
Der erste Band endet sehr traurig und hat mich sehr berührt.
Weiter geht’s mit Band 2 „Palast der Sehnsucht“….
Du liest die Kairo-Trilogie, das finde ich sehr spannend. Ich habe mir die Bücher von Machfus für nächstes Jahr vorgenommen.
AntwortenLöschenEine Info nur so am Rande: die arabischen Länder sprechen alle ihren eigenen Dialekt. Das Hocharabische eint sie und wird in den Nachrichten, wie auch für Zeitungen und Bücher genutzt. Selbstverständlich ist der Koran auch in Hocharabisch verfasst. Nagib Machfus aber hat im ägyptischen Dialekt geschrieben, so dass auch einfache Menschen seine Bücher lesen konnten (wenn sie denn überhaupt Lesen und Schreiben gelernt haben).
Es grüßt Papyrus
Hallo Papyrus,
Löschendanke für deinen Kommentar. Das ist ja sehr interessant, mit der arabischen Sprache kenne ich mich leider gar nicht aus. Ich finde es aber sehr schön, dass Machfus den dialekt der einfacheren Leute gewählt hat.
Grüße Madeleinde